VON HUNDEN, HAS(TZ?)EN UND HORMONEN
Es ist wahrscheinlich die hohe Kunst des Hundehandlings, wenn man es schafft, seinem Retriever beizubringen, lebende Kuscheltiere links liegen zu lassen und statt dessen nur öde schnöde Dummies oder lausige Launchergeschosse aus Rüben und abgeernteten Feldern zu apportieren. Wir sind mit Gemma noch meilenweit davon entfernt, aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Denn zum Glück macht sich Christian B. jedes Jahr in Niederösterreich die Mühe, mit der dortigen Jägerschaft vor Beginn der Jagdsaison ein so genanntes Hasentraining zu organisieren. Deshalb ihm und diesen progressiv eingestellten Jägern, die die Bedeutung dieses wichtigen Aspekts der Hundeausbildung erkannt haben, erst einmal lieben Dank für ihr Engagement. Was wir dort nun schon zum zweiten Mal über zwei Tage hinweg an Erfahrungen sammeln durften, ist einfach unbezahlbar. Die Gegend in Niederösterreich nahe der tschechischen Grenze besitzt in Europa die höchste Hasendichte. Man tritt dort förmlich an jeder Ecke auf ein Langohr, was sicher auch an der exzellenten Hege liegt. Doch wer seine Hasen liebt, will schließlich auch, dass sie bei der Jagd am Ende des Jahres ordentlich behandelt werden. Und das bedeutet: Hunde dürfen lebende gesunde Hasen nicht hetzen, sondern sollen nur die bei der Jagd geschossenen Exemplare apportieren. Und das hat nicht nur jagdethische Gründe, sondern auch sicherheitstechnische. Ein Hund, der willkürlich allem hinterher düst, das sich bewegt, ist bei einer Jagd ein Risiko für sich selbst und alle anderen Teilnehmer. Aber wie dies in einen mehr oder weniger dickköpfigen Hundekopf bringen? Dass ein flitzendes Kuscheltier ein no-go ist aber ein toter Hase dennoch zügig geholt werden muss. Man lernt es wohl nur in der Praxis und dazu braucht man reichlich Hasen.
Der Ablauf ist stets derselbe. Wie bei einer echten Hasenjagd gibt es Treiber, Schützen, Hunde und Hundeführer, die in einem langsamen Walk-up systematisch die Rübenfelder durchkämmen und dabei die Hasen hochmachen. Der Witz an der Sache: alle Hasen kommen bei diesem Training ungeschoren davon und verschwinden in einer Staubwolke am Horizont. Gleichzeitig wird mit Knallpatronen und Dummylaunchern geschossen. Dabei sollen die Hunde im Idealfall unangeleint neben dem Führer gehen und sitzen bleiben, bis der jeweilige Chef grünes Licht bekommt und den Hund auf ein abgeschossenes Launcherteil oder ein ausgelegtes und beschossenes Dummy einweisen darf. Hat der Hund noch nicht die nötige Standruhe, nimmt man ihn an die Leine und geht innerhalb der Linie mit. Jedem Versuch des Hundes, flüchtenden Hasen hinterzusprinten, kann man dann sofort Einhalt gebieten. Irgendwann versteht der Hund schließlich: „ ein losdüsender Hase hat für mich erstmal gar nichts zu bedeuten – auch wenn’s schwer fällt.“ Das ist die erste Hürde, die wir im letzten Jahr zu bewältigen hatten. Und wenn wir nicht gesehen hätten, dass es tatsächlich Hunde gibt, die diesen kleinen aber feinen Unterschied bereits kennen, hätten wir wahrscheinlich längst aufgegeben. Die zweite Hürde, an der wir wohl noch länger zu knabbern haben werden – wie der Hase an der Rübe – ist es, den Hund auch dann noch unter Kontrolle zu haben, wenn man ihn bereits auf ein Dummy eingewiesen hat und er auf dem Weg ins oder schon im Suchengebiet ist. Denn dort muss er dann fern seines Führer der Versuchung widerstehen, die noch verbliebenen sich drückenden oder auch fliehenden Hasen zu hetzen, und stattdessen das Apportel, auf das er eingewiesen wurde, zügig zum Führer zurückbringen. GROSSE HERAUSFORDERUNG. Ist der Hund auf Abwegen, sprich hetzt er einen lebenden gesunden Hasen, kann man als Führer nur noch seine Füße in die Hände zu nehmen und den Hund versuchen davon abzuhalten. Die Betonung liegt hierbei auf VERSUCHEN. Denn ist ein Hund erstmal im Trieb, ist es schwer, ihm wieder Einhalten zu gebieten. Gemmas Führer leidet noch vier Wochen später unter Muskelfaserrissen, die er sich beim Versuch zugezogen hat, Gemma von eben dieser Unart abzuhalten. Nicht leicht, aber sicher machbar, wenn man früh genug anfängt und dementsprechend konsequent ist. Gemma gehört bisher definitiv zu dem Lager von Hunden, die ihrem Führer noch nicht wirklich glauben, dass ein Leinensack oder ein Plastiklauncher mehr wert ist als ein lebendes Langohr. Hmmm .... . Aber wir haben auch diese Jahr wieder gesehen, dass es möglich ist und es sie tatsächlich gibt: die Hunde, die mit viel Freude ihren Job machen und das Dummy holen, obwohl rechts und links die Hasen wegflitzen. Und nur so klappt’s vermutlich bei der tatsächlichen Jagd dann auch reibungslos.
Wir wissen also, was wir bis zum nächsten Jahr zu üben haben. Fragt sich nur, wo und wie in dieser unserer eher hasenarmen Gegend Deutschlands. Beim nächsten Hasentraining in Niederösterreich sollte das mit dem Gehorsam am Hasen draußen im Feld dann hoffentlich ein bißchen besser funktionieren. Und wir wollen auch ganz fest darauf hoffen, dass sich Gemma dann nicht wieder mitten in der Standhitze befindet. Auch wenn es Rüden gibt, die trotz heißer Hündin und flitzenden Hasen zuverlässig arbeiten. Aber dieser Rüde hat sich inzwischen als erster kontinentaler Hund zum Start bei der IGL Championship in England qualifiziert (Glückwunsch Kurt und Apollo!) und beweist damit wohl endgültig, dass ihn nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Gemma träumt noch heute von diesem souveränen „Wind in seinem goldenen Haar.“ Fast wäre es in einer der Pausen zu einem amourösen Intermezzo gekommen, wäre da nicht die Hand der besorgten Züchterin gewesen, die Schlimmeres zu verhindert wußte. Und eigentlich wollten wir (zum Entsetzen aller anwesenden österreichischen Männer) ja auch nur mal schnell überprüfen, ob sich Gemma tatsächlich in der Standhitze befindet und decken lassen würde. Folglich kam Apollo in letzte Sekunde doch nicht zum Zug. Wie gemein! Gearbeitet hat die goldene Lichtgestalt im Anschluss trotzdem spitzenmäßig. Es gibt sie also doch: die Hunde, die jeder Versuchung widerstehen – ganz egal ob Hasen oder Hormonen.
Noch mehr Fotos vom Hasentraining gibt es hier